70 Jahre Jugend am Werk

 

Runde Geburtstage werden meist im Kreis der Familie gefeiert. Oft dauert es nicht lange, bis die Fotoalben ausgegraben werden und min Erinnerung an gemeinsame Erlebnisse schwelgt. Unser 70. Geburtstag scheint uns daher ein guter Anlass, gemeinsam auf die letzten Jahrzehnte zurückzublicken. Denn auch Sie gehören zu unserer Familie, in der wir uns gegenseitig unterstützen, einander zuhören und gemeinsam passende Lösungen finden, wenn es mal nicht so läuft.

 

Wie alles begann - die Zeit vor der Gründung

Die Jugendarbeitslosigkeit liegt in den 1930er-Jahren auf einem noch nie gesehenen Höchststand. Jugendliche finden nach Vollendung ihrer Schulpflicht oft keine Arbeit oder werden nur kurzfristig beschäftigt. Alleine in der Steiermark stehen tausende Jugendliche ohne Aussicht auf einen Job da. Die Sozialistische Arbeiterjugend fordert die Regierung auf, Maßnahmen für diese Gruppe der Arbeitslosen zu ergreifen – leider ohne Erfolg. Daher macht sich der Jugendbeirat unter der Parole „Jugend in Not“ selbst ans Werk und schafft in Zusammenarbeit mit diversen Vereinen Nachschulungskurse, Lehrwerkstätten und Unterkünfte zur Unterstützung von arbeitslosen Jugendlichen. 1938 wird „Jugend in Not“ von der Hitler-Jugend übernommen. Mit der Einführung der Arbeitsdienstpflicht wird die Aktion 1939 eingestellt. Es dauert bis in die Nachkriegszeit, bis das Thema wieder aufgegriffen wird.

 

 

Die Gründung

Wir beginnen unsere Arbeit in einer der schwersten Zeiten Österreichs. In der Nachkriegszeit lebt die Bevölkerung im Ungewissen. Bereits zwei Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg beginnt sich die Situation für Jugendliche in Österreich zu verschlechtern. Die Arbeitslosenzahlen steigen. Besonders in der Steiermark. Nur knapp 6 Prozent der männlichen und 5 Prozent der weiblichen Jugendlichen haben Chancen auf eine Lehrstelle. In der Steiermark sucht die damalige Arbeitsmarktverwaltung nach Lösungen. Es wird eine neue Bildungs- und Erziehungseinrichtung als Bindeglied zwischen Schule und Wirtschaft geschaffen. Sie bekommt den Namen Jugend am Werk. Am 15. April 1948 erscheint in der sozialistischen Tageszeitung ein Aufruf an die arbeitslose Jugend. Beworben wird darin die Berufsvorschule für Jugendliche. Dieser Tag gilt als Gründungstag von Jugend am Werk Steiermark. Noch im Gründungsjahr eröffnen wir Standorte in Graz, Judenburg und Fohnsdorf und begleiten dort insgesamt 270 Menschen. 

Ausbildung und Arbeit für Jugendliche

1950 wird aus der losen Arbeitsgemeinschaft Jugend am Werk ein selbständiger Verein. Damals gelten noch die klassischen Rollenverteilungen – Mädchen in Hauswirtschafts- und Buben in Industrieberufen. Wir bieten damals als einziger Partner der Arbeitsmarktverwaltung in diesem Bereich Unterstützung für benachteiligte Jugendliche an. Eine breitgefächerte Berufserprobung und -vorbereitung steht nun Jugendlichen in der gesamten Steiermark zur Verfügung. Es entstehen neue Standorte in Leibnitz, Liezen, Bad Aussee, Deutschlandsberg, Voitsberg, Mureck und im Rosental.

In den 60er-Jahren gibt es vermehrt Ausbildungsplätze für Mädchen. In Liezen entsteht eine Haushaltsschule mit Öffentlichkeitsrecht. Wir setzen uns zum Ziel Berufswünsche und Interessen zu wecken und in produktive Bahnen zu lenken. Ab den 1980er-Jahren findet man Mädchen ebenso in unseren Tischlerwerkstätten wie Burschen im Gastronomiebereich. Ab 1991 entwickeln sich neue Unterstützungs- und Ausbildungsangebote, wie Tourismuslehrgänge und Berufsorientierungskurse. Es folgen unter anderem die Überbetriebliche Lehrausbildung und Produktionsschulen, die heute noch wichtige Ausbildungsmaßnahmen darstellen. 

 

 

Menschen mit Behinderung

Es dauert in der Zweiten Republik einige Zeit, bis sich der Umgang mit Menschen mit Behinderung ändert. Von der „Verwahrung“ in oft abseits gelegenen Anstalten zu einem selbstbestimmten Leben mit gesellschaftlicher Teilhabe ist es ein weiter Weg. Ab 1952 erweitern wir unser Angebot und unterstützen neben Jugendlichen auch Menschen mit Behinderung. In den 50ern entsteht die „Berufsvorschule für Behinderte“. In weiterer Folge entwickeln sich zahlreiche Beschäftigungsprojekte für Menschen mit Behinderung, damals als Werkstätten bekannt, die heute die Teilhabe am Berufsleben und im Idealfall am 1. Arbeitsmarkt ermöglichen sollen. Nach dem regionalen Ausbau unseres Angebots für Menschen mit Behinderung nehmen wir uns Kunst- und Musikprojekten an. Die Malwerkstatt in Graz, in der auch heute noch Künstlerinnen und Künstler arbeiten, wird 1992 gegründet. Nach und nach werden unterschiedliche Jugend am Werk Bands gegründet, die zum Teil auch heute noch erfolgreich auftreten. Auch im sportlichen Bereich sind unsere Kundinnen und Kunden aktiv bei den Special Olympics vertreten. Wir arbeiten auch heute noch Tag für Tag daran. unsere Vision einer inklusiven Gesellschaft wahr zu machen und Menschen mit Behinderung ein eigenständiges Leben zu ermöglichen, in dem sie selbst bestimmen wie und wo sie leben. Und das in der Mitte der Gesellschaft. 

Wohnen

Auch Burschen und Mädchen aus entlegenen Orten möchten an unserer Berufsvorschule teilnehmen. Daher bieten wir bereits in den 1950er-Jahren Internate für Berufsvorschülerinnen und -schüler an. 1955 wird unter anderem in Graz auch ein eigenes Internat für Mädchen, die an unseren Hauswirtschaftskursen teilnehmen möchten, eingerichtet. 

 

In den späten 1970ern stellen wir Überlegungen an, eine sozialpädagogische Wohngemeinschaft für Jugendliche in schwierigen Lebenslagen zu gründen. Nach intensiver Vorbereitungszeit ist es 1982 endlich soweit: die erste sozialpädagogische Wohngemeinschaft wird in Graz bezogen.

 

Für Jugendliche in Krisensituationen, gab es bis zur Änderung des Jugendwohlfahrtsgesetzes nur stationäre Einrichtungen. Anfang der 90er-Jahre ist es uns aufgrund der neuen Gesetzeslage erstmals möglich, Jugendliche – sofern für die Situation passend – mit dem Mobil betreuten Jugendwohnen direkt in Privatwohnungen zu begleiten. 

 

1964 entsteht in Graz das erste Internat für Menschen mit Behinderung

Anfang der 90er-Jahre beschreiten wir in der Behindertenarbeit neue Wege und beginnen uns von Großeinrichtungen abzuwenden und uns für Wohngemeinschaften und kleinere Wohneinheiten einzusetzen. Wir gründen daher Wohnverbünde in der gesamten Steiermark. Mit den Wohnformen Vollzeitbetreutes Wohnen, Trainingswohnung und Mobil betreutes Wohnen gehen wir schon damals auf die individuellen Bedürfnisse unserer Kundinnen und Kunden ein. Die Förderung zur Selbständigkeit steht immer an erster Stelle.

 

Heute reicht unser Angebot von Wohnassistenz in der eigenen Wohnung bis hin zur intensiv betreuten Wohnform für Menschen mit Behinderung.

Wiedereinstieg ins Berufsleben

Obwohl wir Jugend am Werk heißen, setzen wir uns ab den 1980er-Jahren auch immer wieder für arbeitsmarktpolitische Maßnahmen für Erwachsene ein. Schon 1984 bieten wir daher in Deutschlandsberg Ausbildungslehrgänge in den unterschiedlichsten Berufssparten an. Danach wird auch eine Berufsorientierung für Erwachsene geschaffen, die aber 1995 ausläuft. Aktuell bieten wir älteren und langzeitarbeitslosen Menschen mit gemeinnützigen Beschäftigungsprojekten neue Chancen für den Wiedereinstieg ins Berufsleben. Derzeit gibt es in diesem Bereich die Your Company in Graz, handwerk in Liezen und inservice im Murtal. In unterschiedlichsten Arbeitsbereichen, wie Küche, Büro, Gartenarbeit, Holz- und Metallwerkstätten können Erwachsene hier auf befristete Zeit als Transitarbeitskräfte ihre Fähigkeiten stärken. Diese Beschäftigung ist ein wirksames Instrument in der Wiedereingliederung in den 1. Arbeitsmarkt. Das ist wissenschaftlich nachgewiesen.

Kinder und Familien

Ab den 1990er-Jahren erweitern wir unsere Angebote für Kinder und Familien. Es entsteht die mobile Frühförderung, die eine frühestmögliche Unterstützung für „entwicklungs- und/oder verhaltensauffällige“ Kinder bietet. Jugendliche ab 16 Jahren werden ab 1991 im Betreuten Wohnen auf ein selbständiges Wohnen in ihren eigenen Wohnungen vorbereitet. Ein siebenköpfiges Team begleitet ab 1992 Familien in akuten Krisensituationen direkt in ihren Wohnungen – das ist die Geburtsstunde der Sozialpädagogische Familienbetreuung. 1994 startet die Krisenunterbringung für Jugendliche („Tartaruga“). Gleichzeitig gründen wir Streetwork Voitsberg, Streetwork Graz und die Offene und Mobile Jugendarbeit in Graz. Unser Team aus Streetworkerinnen und Streetworkern ist auch heute noch im Bezirk Voitsberg unterwegs und bietet mit dem „Wohnzimmer“ eine Anlaufstelle für Jugendliche in schwierigen Lebenslagen.

1998 treten wir dem Thema Gewalt gegen Kinder entgegen. Wir veranstalten Präventionsprojekte an Schulen und Kindergärten.

Auch im 21. Jahrhundert sind Programme der Kinder- und Jugendhilfe ein wesentlicher Bestandteil unserer Arbeit. Mit der Jugend- und Familienbegleitung bieten wir auch heute noch Unterstützung in schwierigen Lebenssituationen. Anstatt, wie es früher oft der Fall war, Kinder aus Familien mit Problem „herauszunehmen“, versuchen wir Schwierigkeiten innerhalb der Familie gemeinsam zu bewältigen. Auch für Pflegeeltern sind wir gemeinsam mit dem steirischen Pflegeelternverein in Form von Pflegeelterngruppen da. Ab 2014 werden die mobilen Dienstleistungen für Familien in den ersten steirischen Bezirken auf die sogenannten Flexiblen Hilfen in der Kinder- und Jugendhilfe umgestellt. Diese bieten eine passgenaue Unterstützung zur Entfaltung und Entwicklung von Kindern und Jugendlichen an. Mit dem Projekt Frühe Hilfen schaffen wir ab 2016 auch für Schwangere und Eltern in schwierigen Lebenslagen eine umfassende Unterstützung – von Behördenwegen bis zur Suche nach passenden Therapien.

tartaruga

Anfang der 90er gibt es in der Steiermark für Jugendliche in Krisensituationen, abgesehen von stationären Einrichtungen, keine vorübergehenden Unterbringungsmöglichkeiten. Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter fordern, vor allem in Graz, genau solch eine Institution zu eröffnen. Unzählige Arbeitsstunden und umfangreiche Bemühungen von Jugend am Werk-Mitarbeitenden führen schließlich zu einem Ergebnis. 1994 ist es soweit: die tartaruga öffnet als Beratungs- und Zufluchtsstelle für Jugendliche in akuten Krisensituationen ihre Türen. Hier beraten wir auch heute noch telefonisch und persönlich. Jugendliche können jederzeit vorbeikommen, wenn sie in Schwierigkeiten sind, Infos brauchen, einfach nur mit jemandem reden wollen oder vorübergehend bei uns wohnen möchten.

Jugend am Werk heute

Wie sieht es bei Jugend am Werk heute aus? 

 

Menschen in beruflichen, persönlichen und sozialen Lebensfragen ein verlässlicher, kompetenter Partner sein: Das ist der Grundauftrag, dem wir seit 70 Jahren nachkommen. Mit derzeit über 1.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie 100 Einrichtungen sind wir in der gesamten Steiermark vertreten.

Wir begleiten Kinder, Jugendliche und Erwachsene in den unterschiedlichsten Lebenslagen. Ob auf der Suche nach Ausbildung oder Arbeit, auf der Flucht, in familiären Krisensituationen oder auf der Suche nach Wohnungen. Unser größtes Anliegen ist es, maßgeschneiderte Lösungen für unsere Kundinnen und Kunden zu finden. Denn jeder Mensch ist einzigartig. Wir sind stolz, einen wichtigen Beitrag zur gesellschaftlichen Entwicklung beizutragen und als einer der größten Sozialträger in der Steiermark täglich Menschen ein Stück ihres Weges begleiten und unterstützen zu dürfen. 

70 Jahre - 70 Gesichter

Wir feiern nicht nur 70 Jahre Jugend am Werk - wir feiern auch 70 Jahre Vielfalt. Doch wie kann man dieser Vielfalt ein Gesicht geben? 

 

Wir haben unser Jubiläum genutzt, um der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft Raum zu geben. Dabei entstand ein zweiteiliger Text- und Bildband. Der erste Teil "70 Jahre" erzählt die Geschichte von Jugend am Werk von der Gründung bis heute. Im zweiten Teil "70 Gesichter" porträtieren wir vielfältige Menschen, die in unterschiedlichster Art und Weise in Verbindung zu uns stehen.

 

Die beiden Bücher sind in einem Schuber zum Preis von 25 Euro in unserem HERZLich Laden zu erwerben. Sollten Sie es nicht persönlich in den HERZLich Laden schaffen, bestellen Sie Ihre Bücher gerne unter bestellung(at)jaw.or.at.

 

 

HERZLich Laden

Mariahilferplatz 3

8020 Graz

Öffnungszeiten:

Montag bis Freitag: 10:00-18:00 Uhr, Samstag: 10:00-16:00 Uhr.

Tel.: 050/7900 7900

Fotos vom Fest

Für alle, die mit uns 70 Jahre Jugend am Werk Steiermark gefeiert haben, aber auch alle, die leider nicht an unserem Fest teilnehmen konnten, gibt es hier die Fotos von der Feier.

 

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