Im Gespräch ...
... mit Housing First für Frauen-Teamleiterin Andrea Guégan-Knafl über Wohnungslosigkeit, ihre Ursachen und die Auswirkungen auf die Betroffenen
Wie kommt es zu Wohnungslosigkeit?
Andrea Guégan-Knafl: Es braucht oft keinen schlimmen Schicksalsschlag, oft reichen schon sogenannte Übergangsphasen, um wohnungslos zu werden: Ein junger Mensch, im Übergang zwischen Schulende und Arbeit, der aus dem Elternhaus raus muss, eine Trennung bzw. Scheidung, Arbeitslosigkeit, der Tod der zu pflegenden Person uvm. Wer in solchen Situationen keinen Zugang zu leistbarem Wohnen hat, läuft Gefahr, wohnungslos zu werden.
Was sind die Hauptursachen für Wohnungslosigkeit bei Frauen?
Andrea Guégan-Knafl: Häufigster Grund für die Wohnungslosigkeit bei Frauen sind Trennung und Scheidung. Viele wohnungslose Frauen haben zudem psychische Erkrankungen und mehrheitlich kein aufrechtes Arbeitsverhältnis. Wir stellen jedoch fest, dass Wohnungslosigkeit immer mehr in die Mitte der Gesellschaft rückt.
Was bedeutet Wohnungslosigkeit für die Frauen?
Andrea Guégan-Knafl: Wohnungslosigkeit ist die extremste Form von Armut und für viele eine große psychische Belastung. Sie bedeutet keine Privatsphäre zu haben, oft auch prekär zu wohnen, also etwa bei Bekannten mitzuwohnen, ohne die Sicherheit eines Mietvertrages, dafür verbunden mit der Angst, von heute auf morgen wieder auf der Straße zu stehen. Wohnungslosigkeit bedeutet aber auch Grundbedürfnisse wie Körperhygiene oder Reproduktionswünsche nicht ausreichend decken bzw. nicht leben zu können. Sie ist noch immer mit großer Scham behaftet und gerade Frauen nehmen viele Anstrengungen auf sich, damit ihr Umfeld möglichst lange nicht merkt, dass sie wohnungslos sind.
Wie erfolgt die Wohnungssuche und welche Hindernisse gibt es dabei?
Andrea Guégan-Knafl: Nach Abklärung der finanziellen Möglichkeiten und der aktuellen Lebenssituation suchen wir gemeinsam mit den Frauen eine passende Wohnung. Manchmal scheitert der Beginn der Wohnungssuche fürs erste allerdings schon am nicht vorhandenen Reisepass. In diesem Fall gehen wir als Zeugen gemeinsam mit den Frauen zum Amt. Unkompliziert ist die Wohnungssuche immer dann, wenn Anspruch auf eine Gemeindewohnung besteht, denn diese wird ohne Ansehen der Person nach objektiven Kriterien vergeben. Für das Gelingen der Wohnungssuche ist es des Weiteren wichtig, dass wir Sozialarbeiterinnen kompetent auftreten und wissen, welche Rechte und Pflichten ein Mietvertrag mit sich bringt.
Welche wohnbegleitende und sozialarbeiterische Unterstützung wird bei Housing First für Frauen angeboten?
Andrea Guégan-Knafl: Unsere Begleitung ist, sofern sie gewünscht wird, maßgeschneidert auf die Bedürfnisse der jeweiligen Frau. Sie kann neben der Wohnungssuche auch die Unterstützung beim Einzug ins neue Zuhause beinhalten, ebenso die Arbeit an Zielen zur Erhaltung der Wohnung und zur Selbstständigkeit sowie die Unterstützung bei finanziellen Fragen, bei Gesundheitsthemen, oder Fragen zu Arbeit, Freizeitgestaltung u.v.m.
Wir arbeiten beispielsweise mit der Schuldner*innenberatung zusammen, da das „betreute Konto“ für viele unserer Klientinnen eine gute Lösung darstellt. Alle Einnahmen landen im ersten Schritt auf dem betreuten Konto. Von diesen werden zuerst die Fixkosten wie die Miete bezahlt. Das übrige Geld kommt auf ein Auszahlungskonto, auf das die jeweilige Frau zugreifen kann. Sollte das Geld mal nicht ausreichen, gibt ein Frühwarnsystem rechtzeitig Bescheid.
Was macht den Housing First Ansatz so erfolgreich?
Andrea Guégan-Knafl: Die Wohnung als Basis für ein „normales“ Leben und die Freiwilligkeit der Unterstützung sind aus meiner Sicht jene zwei Eckpunkte des Ansatzes, die dazu beitragen, dass die Erfolgsrate laut internationalen Erhebungen bei rund 90 Prozent liegt. Denn die Wohnung bietet den Frauen Stabilität, Sicherheit und Privatsphäre und gibt ihnen das Vertrauen in sich selbst zurück, sodass sie auch andere Probleme angehen können.
Welche Rahmenbedingungen braucht es, um Wohnungslosigkeit zu minimieren?
Andrea Guégan-Knafl: Housing First kann nicht funktionieren, wenn der Wohnungsmarkt nicht funktioniert und die Mieten mit Sozialhilfeunterstützung allein nicht mehr finanzierbar sind. Es ist daher essenziell, Miet- und Energiepreise so zu gestalten, dass leistbares Wohnen auch künftig möglich ist.