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Offener Brief: Aktive Arbeitsmarktpolitik geht uns alle an

Sehr geehrte Herren Minister, sehr geehrte Damen und Herren!

Wenn uns in den letzten Monaten Mal für Mal die aktuellen Arbeitsmarktdaten in den Online- und Print-Medien wieder steigende Arbeitslosenzahlen melden, dann überrascht das nicht. Die Baubranche und die Industrie stecken in einer Rezession, Firmeninsolvenzen häufen sich. Der Fachkräftemangel im Tourismus oder in der Pflege ist hingegen nicht zu bewältigen. Ausgehend von zwei erstaunlich guten Jahren nach Corona verursachen diese Nachrichten der Allgemeinbevölkerung aber offenbar noch keine schlaflosen Nächte.

Kein Grund also zur Aufregung, wenn jetzt die Bundesmittel für das AMS-Budget 2025 um 95 Millionen Euro gekürzt werden sollen. Schließlich muss ja irgendwann ernsthaft damit begonnen werden, das Schulden-Ruder herumzureißen, auch wenn es dafür unpopulärer Entscheidungen bedarf. Unpopuläre Maßnahmen werden üblicherweise vor Wahlen tunlichst vermieden. Warum also wird gerade jetzt so kurz vor der wichtigen Nationalratswahl gekürzt? Es muss wohl davon ausgegangen werden, dass aktive Arbeitsmarktpolitik nicht populär ist, denn obwohl die Akteur:innen der Branche seit Wochen über ihre Interessensvertretungen, auf ihren Social Media Kanälen und in offenen Briefen an die Ministerien deutlich auf die schwerwiegenden Konsequenzen einer Budgetkürzung von österreichweit 95 Millionen Euro aufmerksam machen, schafft es deren Aufschrei nicht, eine angemessene Resonanz zu erzeugen.

Als Vertreter:innen der aktiven Arbeitsmarktpolitik drängt sich uns der Verdacht auf, dass eine allgemeine Unklarheit darüber besteht, welchen essentiellen Beitrag zur Gesellschaft die Branche leistet.

Die Androhung der massiven Kürzung des AMS-Budgets vor dem Hintergrund bedrohlicher Wirtschaftsprognosen in Zeiten politischer Unsicherheit veranlasst uns zu einem klaren und selbstbewussten Statement:

Aktive Arbeitsmarktpolitik leistet einen unschätzbar wichtigen Beitrag für das Funktionieren unserer Gesellschaft! Sie auszuhöhlen ist fahrlässig!

Mit ihrem Ziel, die Beschäftigung zu fördern, die Arbeitslosigkeit zu reduzieren und die Anpassung von Arbeitskräften an sich ändernde Arbeitsmarktbedingungen zu erleichtern, arbeitet die aktive Arbeitsmarktpolitik direkt den großen volkswirtschaftlichen Schlüsselbereichen Bildung, soziale Sicherheit, Wirtschaft und Gesundheit zu. Sie wird damit selbst zu einem zentralen volkswirtschaftlichen Schlüsselfaktor, um die gesellschaftliche Stabilität und ihre Wohlfahrt zu sichern und die wirtschaftliche Entwicklung zu unterstützen.

Aktive Arbeitsmarktpolitik richtet sich insbesondere an jene Bevölkerungsgruppen und Wirtschaftsbereiche, die strukturell benachteiligt oder auch temporär krisenbehaftet sind. Dies betrifft einen großen Teil der arbeitsuchenden bzw. beschäftigungslosen Personen. Arbeit und Beschäftigung wirken sinnstiftend und entwicklungsfördernd. Verhinderte Entwicklung hingegen führt zwangsläufig zu destruktivem Verhalten – gegen sich selbst oder gegen andere gerichtet. Steigende Gesundheitskosten, (politischer) Extremismus und soziale Unruhen sind reale Beispiele hierfür, die wir international beobachten können.

Die angedrohten Budgetkürzungen ziehen auf vielen Ebenen schwerwiegende Risiken nach sich, unter anderem:

  • Jugendliche

Wenn bei heranwachsenden Jugendlichen die kindliche Zwanglosigkeit dem Verantwortungsdruck des Erwachsenwerdens weicht, ist das enorm herausfordernd. Das gilt für Jugendliche mit besten familiären, finanziellen und gesundheitlichen Voraussetzungen und noch viel mehr für jene, die psychisch belastet, krank, arm, süchtig, verschuldet, allein sind. Aus Überforderung folgt dann oftmals ein Scheitern bei der richtigen Ausbildungswahl, beim erfolgreichen Abschluss und beim beruflichen Einstieg. Die aktive Zuwendung und geduldige Unterstützung von Jugendlichen in dieser wichtigen, weichenstellenden Lebensphase ist eine Hauptaufgabe der von Budgetkürzungen betroffenen Branche.

Das Risiko steigt, unsere Jugendlichen an die Perspektivenlosigkeit zu verlieren.

  • Frauen

Frauen sind am Arbeitsmarkt vor allem im Hinblick auf Einkommen und Aufstiegschancen nach wie vor strukturell deutlich benachteiligt. Ihr Risiko für Teilzeitarbeit, niedrige Pensionen und Altersarmut ist um ein Vielfaches höher, als jenes der Männer. Zu oft fehlen funktionierende und umfassende Kinderbetreuungseinrichtungen, flexible Arbeitszeitmodelle oder gut bezahlte Jobs in klassischen Berufsfeldern. Gleichzeitig findet sich bei den Frauen weiterhin das größte Potenzial zur Bekämpfung des regionalen Arbeitskräftemangels. Die Anreize für Frauen, sich dem Arbeitsmarkt unter den gegebenen Rahmenbedingungen verstärkt zur Verfügung zu stellen, sind jedoch begrenzt. Hier mit Beratung zur selbstbewussten Berufswahl sowie mit sinnvollen Ausbildungs- und Umschulungsangeboten aufzutreten, ist eine Hauptaufgabe der von Budgetkürzungen betroffenen Branche.

Das Risiko steigt, dass die strukturelle Diskriminierung von Frauen wieder zunimmt.

  • Migrant:innen

Infolge des demografischen Wandels ist ein gewisses Maß an Migration notwendig, um den Arbeitskräftebedarf abzudecken und ein Wirtschaftswachstum erzielen zu können. Dabei ist es wichtig, rasch sprachliche Defizite zu beseitigen, kulturelle Missverständnisse abzubauen, benötigte fachliche Qualifikationen auszubilden und den Kontakt zu den arbeitgebenden Wirtschaftsbetrieben herzustellen. Dies ist eine Kernaufgabe der von Budgetkürzungen betroffenen Branche. Je länger diese Aufgaben nicht übernommen werden, desto eher bilden sich abgespaltene, unintegrierte Bevölkerungsteile, deren Anbindung an das gewünschte Gesellschaftssystem zunehmend schwieriger wird.

Das Risiko steigt, dass integrationsoffene Migrant:innen zu unangepassten Ausgeschlossenen werden.

  • Menschen mit Behinderung

Behinderungen wie Blindheit, Gehörlosigkeit, Sprach- und Verständnisprobleme, körperliche Fehlbildungen oder dauerhafte Verletzungen, Lernschwächen, geistige oder seelische Einschränkungen beeinträchtigen die Teilhabe der Betroffenen am Leben der Gesellschaft massiv. Hierzu zählt naturgemäß auch die Teilhabe am Arbeitsleben einer Gesellschaft. Die Integration von Menschen mit Behinderung in den Arbeitsmarkt ist aber keineswegs nur eine Frage der sozialen Gerechtigkeit. Sie ist auch eine Chance, brachliegendes Arbeitskräftepotenzial mit vielfältigen Fähigkeiten Perspektiven und Talenten zu nutzen. Die Identifikation, Benennung und Förderung dieser Fähigkeiten zur Einbringung dieser wertvollen Ressourcen in die Arbeitswelt ist eine Kernaufgabe der von Budgetkürzungen betroffenen Branche.

Das Risiko steigt, dass die Inklusion von Menschen mit Behinderung scheitert.

  • Langzeitarbeitsuchende

Viele Umstände können dazu führen, länger als ein Jahr arbeitsuchend und damit langzeitarbeitslos zu werden. Ob durch eine schlechte Wirtschaftslage, falsche Qualifikation, Krankheit oder Lebenskrisen, immer wirkt Langzeitbeschäftigungslosigkeit negativ auf die Lebensqualität der Betroffenen und die Gesellschaft als Ganzes. Finanzielle Schwierigkeiten, Depressionen und Angstzustände, soziale Isolation, Gesundheitsprobleme, Verlust von Fähigkeiten und Qualifikationen oder Belastung des Familienlebens sind die häufigsten individuellen Auswirkungen. Gesellschaftlich sind hohe Sozialleistungen, entgangene Steuern, erhöhte Kriminalität, politische Frustration, sinkendes Bildungsniveau und eine weitere Verhärtung des Arbeitsmarktes die Folge. Dies zu verhindern, ist eine Kernaufgabe der von Budgetkürzungen betroffenen Branche.

Das Risiko steigt, dass sich negative Auswirkungen von Langzeitarbeitslosigkeit unumkehrbar verfestigen.

  • Von Betriebsinsolvenz betroffene Personen

Firmenpleiten sind Teil des Wirtschaftslebens und kosten täglich Menschen jeden Alters und jeglicher persönlicher Rahmenbedingungen den Job. Bei großen Unternehmen kann dies sogar zur Instabilität ganzer Regionen führen. Manche Betroffenen mögen eine neue Chance erkennen, für die meisten ist es eine Katastrophe. Personen in dieser Situation rasch aufzufangen, sie bei der Neuorientierung zu beraten und für neue berufliche Wege zu qualifizieren ist eine Kernaufgabe der von Budgetkürzungen betroffenen Branche.

Das Risiko steigt, dass gekündigte Personen den Anschluss an den Arbeitsmarkt verlieren.

- Unternehmen
Unternehmen als Arbeitgeber:innen sind selbst Adressat:innen der aktiven Arbeitsmarktpolitik. Sie sind ein wichtiger Partner bei dualen Ausbildungen von Arbeitsuchenden zur Erlangung von Abschlüssen am zweiten Bildungsweg sowie bei der Höherqualifizierung von Beschäftigten zur Sicherung eines hohen Arbeitskräftestandards im internationalen Vergleich. Ohne die aktive Einbeziehung der Unternehmen in die Angebote der aktiven Arbeitsmarktpolitik sinken die Anzahl und die Qualität von Aus- und Weiterbildungen deutlich. Infolge droht der Wirtschaftsstandort geschwächt zu werden und die Arbeitslosigkeit zu steigen. Dem entgegenzuwirken ist eine Kernaufgabe der von Budgetkürzungen betroffenen Branche.

Das Risiko steigt, dass das berufliche Ausbildungsniveau flächendeckend sinkt.

- Ländliche Regionen
Durch die Kürzungen im arbeitsmarktpolitischen Förderbereich kommt es zu einer Aushöhlung von regionalen Angeboten, weil diese verhältnismäßig teurer sind und im Vergleich zu Ballungszentren eine geringere Anzahl an Personen erreichen. Wenn es jedoch gerade im ländlichen Bereich keine Qualifizierungs- und Förderungsangebote der aktiven Arbeitsmarktpolitik mehr gibt, wird die Region vielschichtig und verheerend geschwächt.

Das Risiko steigt, dass ländliche Regionen zunehmend verwaisen.

- Berater:innen und Trainer:innen
Durch die Budgeteinsparungen werden mehrere Tausend Berater:innen und Trainer:innen aus Projekten der aktiven Arbeitsmarktpolitik ihre Arbeit verlieren oder existenzbedrohende Arbeitszeitkürzungen in Kauf nehmen müssen. Zu einem weit größeren Teil trifft es Frauen, weil ihr Anteil in der Branche sehr hoch ist. Die bereits prekäre Teilzeitquote bei Frauen wird abermals erhöht. Das wiederum hat massive Auswirkungen auf spätere Pensionsansprüche und begünstigt Altersarmut. In einem Berufsfeld, das ohnehin von sehr kurzen Projektlaufzeiten und dadurch von permanenter Arbeitsplatzangst der Trainer:innen und Berater:innen geprägt ist, steigt die Unsicherheit nochmals dramatisch.

Das Risiko steigt, dass es sich gute Trainer:innen und Berater:innen nicht mehr leisten können oder wollen, ihren Beruf auszuüben.

Die aktive Arbeitsmarktpolitik Österreichs hat es bisher immer wieder geschafft, international als Vorzeigebeispiel wahrgenommen zu werden. Im internationalen Vergleich wird uns deshalb eindringlich empfohlen, die wertvollen Errungenschaften und über Jahrzehnte ausgebildeten Rahmenbedingungen der aktiven Arbeitsmarktpolitik in Österreich energisch zu verteidigen.

Unser Fazit ist:

  • Die aktive Arbeitsmarktpolitik fördert Gesundheit, soziale Teilhabe, Sicherheit und Bildung.
  • Sie fördert (und fordert) ökologische Nachhaltigkeit, digitale Kompetenzen und den Wirtschaftsstandort.
  • Sie ist wesentlich für die gesellschaftliche Stabilität und den Frieden.
  • Sie geht uns alle an!

Daher fordern wir die Rücknahme der Kürzungen! Die aktive Arbeitsmarktpolitik muss aus- statt ab-gebaut werden

Pressekontakt

Jugend am Werk Steiermark GmbH
Mag. Wolfgang Nußmüller
Stabsstellenleiter Marketing & Öffentlichkeitsarbeit
Tel. +43 (0) 50/7900 1403
wolfgang.nussmueller(at)jaw.or.at